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Bloß keine Schuldgefühle

Bloß keine Schuldgefühle!

Bestimmt erinnern sie sich an die unsäglichen Beschimpfungen, die sich Fußballkommentatorin Claudia Neumann bei der WM im vergangenen Sommer anhören musste. Zugegeben, so etwas macht mich ein bisschen ratlos, weil die Wut der oftmals männlichen Kritiker so heftig ist. Es gibt aber durchaus eine Erklärung dafür: Mit derart brutalem Gepöbel verteidigen die Männer, die in der Hierarchie nach wie vor über den Frauen stehen, ihre Vormachtstellung. Sie wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass Frauen in „ihre“ Bereiche vordringen, worunter natürlich der Fußball, aber auch der Chefsessel oder die Versorger- und Bestimmerrolle in der Familie fallen.

Die US-amerikanische Philosophieprofessorin Kate Manne spricht bei diesem unerfreulichen gesellschaftlichen Phänomen von „Misogynie“ und erklärt: „Ich sehe Frauenfeindlichkeit als Instrument, um das Bild der Frau als Gebende, Liebevolle und Fürsorgliche zu bestärken. Wenn Frauen sich machthungrig und dominant verhalten, geraten sie in Konkurrenz mit Männern – den historischen Nutznießern weiblicher Wohltätigkeit.“ Verweigern Frauen den Männern also die gewohnte Unterstützung und bleiben nicht länger zurückhaltend im Hintergrund, werden sie laut Manne kritisiert. Je mehr Macht sie anstreben, desto heftiger. Übrigens auch von anderen Frauen, die oftmals von Schuldgefühlen geplagt werden, wenn Männern ihre Privilegien streitig gemacht werden. Sogar Manne selbst habe sich beim Schreiben ihres Buches (englischsprachiger Titel: „Down Girl – The Logic of Misogynie“, deutsche Übersetzung ab Mai 2019 erhältlich) schuldig gefühlt und musste sich dazu zwingen, das männliche Geschlecht, das über Jahrhunderte von dem System profitiert hat, nicht gleich wieder in Schutz zu nehmen.

Liebe Leserinnen, abgesehen davon, dass wir den verbalen Ausfällen der Männer die Stirn bieten müssen, gilt es also auch, die eigene Einstellung erfolgreichen Frauen gegenüber ebenso wie hinsichtlich der eigenen Machtansprüche zu prüfen. Wollen wir den Männern nichts wegnehmen, weil uns das so beigebracht wurde? Finden wir sie insgeheim sympathischer als Frauen – wovon Genderforscherin Manne übrigens auch ausgeht und was sie „Himpathy“ nennt? Dann müssen wir uns auch selbst immer wieder hinterfragen und zum Umdenken anhalten – zumindest dann, wenn wir an einem gleichberechtigten Zusammenleben interessiert sind.

Allerdings spielt beim Thema Geschlechterrollen sicher auch die Gewohnheit eine Rolle. Und wir alle sollten uns daran erinnern, dem Ungewöhnlichen öfter mal eine Chance zu geben – also zum Beispiel unvoreingenommen einer weiblichen Stimme bei einem WM-Fußballspiel zuzuhören. Auch Männer können und sollten bei diesem Wandel helfen. Sehr sympathisch finde ich eine Anekdote, die ein Redakteur der BILD-Zeitung über unseren Wirtschaftsminister zum Besten gegeben hat. So ließ Peter Altmaier in einem Interview nachträglich einen Satz ändern. Gesagt hatte er im Interview: „Von der Kassiererin bis zum Unternehmer bieten wir allen eine politische Heimat.“ Er wolle keine Geschlechterklischees bedienen, erklärte er bei der Autorisierung und bestand auf „den Kassierer“ und „die Unternehmerin“.

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