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Das Nichtstun entdecken

Das Nichtstun entdecken

Vor wenigen Tagen habe ich ein sehr schönes niederländisches Wort entdeckt. Es heißt „niksen“ und meint ganz einfach: nichts tun. Nur dasitzen, noch nicht einmal eine Entspannungsübung machen, vielleicht aus dem Fenster schauen, ohne Absicht, ohne Ziel und ohne über irgendetwas Bestimmtes nachzudenken. Niksen beschreibt einen Zustand, der heute nur noch sehr selten vorkommt. Denn in der Regel planen wir in Gedanken ständig die nahe oder ferne Zukunft oder bewerten Vergangenes. Und sollten wir dies einmal nicht tun, zücken wir das Smartphone, bevor sich der Leerlauf im Kopf einstellen kann – sei es an der Bushaltestelle, in der Bahn, am Badesee oder zu Hause auf dem Sofa.

Das ist schade und auch zunehmend ein Problem, denn genau dieses Nichtstun und Nichtsdenken ist wichtig für unser Gehirn und unsere psychische Gesundheit, erklären Neurowissenschaftler wie Dr. Bernd Hufnagl. Denn nur in diesen Phasen des gedanklichen Leerlaufs – wenn wir innerlich loslassen, sinnieren und reflektieren – können wir Erfahrungen und Gefühle verarbeiten. Nur dann können wir uns selbst hinterfragen und einen gesunden Abstand zu unserer eigenen Wahrnehmungswelt gewinnen. Hufnagl rät deshalb, viel öfter einfach nur aus dem Fenster zu schauen und sich den eigenen Tagträumen hinzugeben. Wenn wir dabei von den großen und kleinen Grübeleien loslassen können, so erklärt er, wird das so genannte „Ruhe- oder Tagträumernetzwerk“ in unserem Gehirn aktiv. Dieses ist inaktiv, wenn wir uns mit etwas beschäftigen oder uns digital berieseln lassen, und wird nur dann aktiv, wenn unsere Gedanken ziellos zu schweifen beginnen.

Sich einfach nur auf eine Parkbank zu setzen und zehn Minuten auf einen Baum oder einen See zu schauen, ist eigentlich eine einfache Aufgabe. Dennoch fällt sie den meisten Menschen sehr schwer, was Hufnagl auch aus seinen Experimenten weiß. So haben er und sein Team vor mehr als 15 Jahren begonnen, Menschen alleine in einen Raum zu setzen und sie zu bitten, einfach nichts zu tun. Währenddessen hängen sie an einem EKG, mit dem gemessen wird, ob ein bestimmter Nerv in unserem Körper, der sogenannte parasympathische Nervenstrang, aktiver wird. Denn dies ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass wir abschalten, Muße haben, regenerieren, entspannen. Die Ergebnisse sind allerdings erschreckend: Schon im Jahr 2004 waren lediglich 30 Prozent der Probanden in der Lage abzuschalten. 2018 waren es nur noch fünf Prozent. Das heißt, so Hufnagl: 95 Prozent der Probanden zeigten eine Stressreaktion.

Diese Stressreaktion erlebt auch die Meditationslehrerin Nicole Stern häufig, wenn sie ihren Schülern das Stillsitzen beibringt. Sie erklärt: „Bei vielen Menschen ist das Nichtstun damit verknüpft, zu nichts nutze zu sein. Das liegt an unserer Gesellschaft, in der Aktivität und Erfolg wertgeschätzt werden und Nichtstun wertlos erscheint. Oftmals müssen wir uns selbst ausdrücklich die Erlaubnis zum Nichtstun erteilen.“ Genau das möchte ich Ihnen, meinen Leserinnen und Lesern, mit diesem Blogartikel auch raten: Schenken Sie sich im Laufe des Tages immer wieder ein paar Minuten Zeit zum Niksen. Legen Sie zum Beispiel beim Warten oder beim Bahnfahren das Smartphone weg, schauen Sie aus dem Fenster. Und lassen Sie sich überraschen, was passiert.

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