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Keine Nachrichten

Yoga statt Nachrichten

Erst kürzlich hörte ich in der Bahn ein Gespräch mit. Zwei Frauen unterhielten sich über die Bürgermeisterwahl in Istanbul. Irgendwann sagte die eine zur anderen den ungeheuerlichen Satz: „Ach, ich kenne mich damit nicht aus, mein Mann ist bei uns für Politik zuständig.“ In den 50ern hätte so eine Aussage niemanden überrascht. Aber heute?

Was den Konsum von politischen Nachrichten betrifft, scheint sich seither nicht viel verändert zu haben. Das zumindest legt eine wissenschaftliche Studie nahe, die unlängst unter britischen Frauen mit niedrigem und mittlerem Einkommen durchgeführt wurde. Die Forscher konnten nachweisen, dass Frauen immer noch weniger Nachrichten konsumieren als Männer. Sie brauchen ihre Energie, um Job, Kinder, Haushalt oder die Pflege von Angehörigen unter einen Hut zu bekommen. Sprich: Wer ohnehin schon an der Belastungsgrenze ist, will sich nicht auch noch mit dem Untergang der SPD oder der Flüchtlingskrise beschäftigen müssen. Kritische Meinungsbildung macht da zu viel Mühe. Und weil den Frauen die Kraft fehlt, wird die Zuständigkeit für das, was draußen in der Welt vor sich geht, regelrecht an die Männer ausgelagert.

Sicherlich hat der fehlende Antrieb, sich selbst zu informieren, auch mit der Berichterstattung selbst zu tun, die immer noch überwiegend von Männern verantwortet wird, so dass von Frauen gesetzte Themen zumindest im Qualitätsjournalismus weitaus seltener stattfinden. Auch hier müssen wir Frauen uns als Journalistinnen und hoffentlich auch bald noch öfter als Chefredakteurinnen dringend einbringen. Stattdessen treten viele Frauen die Flucht auf die Yogamatte an. Da dreht sich alles nur um sie selbst. Im Magazin „Psychologie heute“ war es gerade nachzulesen: Mit dem ständigen Blick nach innen, so schreibt die Autorin Gabriele Heise in einem offenen Brief an ihre Yogagruppe, ersparten wir uns zwar manchen Streit – aber er sei wohl auch eine Ermunterung zum Wegschauen, um nur ja entspannt zu bleiben.

Aber wir brauchen in dieser Welt gut informierte Frauen, die ihre Stimme erheben und sich für wichtige Belange einsetzen – zum Beispiel für ihre eigenen! Ob im direkten Umfeld oder in der Öffentlichkeit, ob auf der Straße, in den Medien oder gar in einer Partei. Womöglich werden dafür wirklich erst wieder Ressourcen da sein, wenn sich die Arbeitswelt verändert und zudem die Väter einen größeren Teil der Verantwortung übernehmen als bisher.

Aber natürlich braucht es auch den Willen der Frauen. Gabriele Heise bringt es in „Psychologie heute“ auf den Punkt: „Das Anjali-Mudra, die Gebetshaltung, die wir bei Begrüßung und Verabschiedung und während des Om-Singens einnehmen, gibt den Weg vor: Der Daumen zeigt zum Herzen. Alle anderen Finger weisen in die Welt. Und so soll es sein: Bei sich selbst sein, aber auch in der Welt unterwegs, tätig, eingreifend. Dazu gehört auch die politische und soziale Realität.“

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